Enea Righi besitzt eine der visionärsten und bedeutendsten Privatsammlungen internationaler Gegenwartskunst in Italien. Es ist einem über Jahre gewachsenen Vertrauensverhältnis zu verdanken, dass der Öffentlichkeit nun mehr als 150 Werke dieser wichtigen Sammlung, die sich als Dauerleihgabe im Museion befinden, im Rahmen der Ausstellung Among the Invisible Joins Werke aus der Sammlung Enea Righi präsentiert werden. Zu diesem Anlass haben wir mit Enea Righi darüber gesprochen, was es bedeutet, die eigene Sammlung einem Museum zu überantworten, über unsichtbare Fugen und mögliche Dialoge zwischen den Werken, vor allem jedoch über Kunst, die noch zu berühren und zu bewegen versteht, während sie von den Gegensätzen unserer Zeit erzählt.
„Kunst muss sich wieder auf die Menschlichkeit besinnen“ Interview mit Enea Righi
„Among the Invisible Joins“, Zwischen den unsichtbaren Fugen
Wie kam es eigentlich zu dem vertrauensvollen Verhältnis zum Museum und dazu, dass Sie Ihre Sammlung einem anderen Ort als den eigenen vier Wänden überlassen (und anvertraut) haben?
Es ist ein Akt des Vertrauens, der für mich auf Gegenseitigkeit beruht. Vom Gesundheitswesen bis zur Kunst vertrete ich eine öffentliche Vision des Gemeinwohls: Denn die Vermittlung von Kunst gehört meiner Meinung nach in die öffentliche Hand. Mir fehlt der Glaube an private Stiftungen, abgesehen von einigen großen herausragenden Beispielen wie etwa Prada und Hangar Bicocca, die eigentlich aber Museen sind. Auch wenn Kunst- und Museumseinrichtungen stark geschwächt sind, da sie in der wirtschaftlichen Beständigkeit ihrer Aktivitäten immer wieder beeinträchtigt werden, glaube ich doch an dieses System und bin – wie gesagt – der festen Überzeugung, dass dies der richtige Weg ist; daher werde ich Museen auch unterstützen, solange es mir möglich ist.
Vor allem das Museion.
Die Beziehung zum Museion begann vor etwa 15 Jahren, wobei die erste Ausstellung 2010 stattfand. Zu jener Zeit fassten wir auch eine langfristige Leihgabe ins Auge, um die mich die damalige Direktorin Letizia Ragaglia gebeten hatte, um die Sammlungsstruktur des Museums zu stärken und dieses in seinen Beziehungen zu ausländischen Museen sowie in seiner Ausstellungstätigkeit durch eine leihweise Überlassung von Werken zu unterstützen. Mit der Zeit kamen neue Arbeiten hinzu, und der Kontakt hat sich gefestigt. Mit dem Direktor Bart van der Heide besteht eine große Übereinstimmung in Bezug auf die Betrachtungsweisen und die generelle Auffassung von Kunst.
Sie haben einmal gesagt, dass dem Sammeln ein fast schon körperlich zu nennendes, tiefes und persönliches Bedürfnis zugrunde liegt… Ist das immer noch so?
Es ist noch schlimmer geworden. Tatsächlich gab es da immer schon eine physische Beziehung, und es klingt paradox, doch mit zunehmendem Alter nehmen die Sensibilität und innere Ergriffenheit noch zu. Ich werde Ihnen ein Beispiel nennen. Eigentlich bin ich sehr skeptisch angesichts der Richtung, in die sich der Kunstbetrieb derzeit bewegt. Er steuert geradewegs auf ein Desaster zu und hat meines Erachtens viel von seiner Seele verloren. Eine Zeit lang habe ich mich vom Kunstmarkt auch ferngehalten wegen des Übermaßes an Malerei, und auf die NFT-Welle folgte anschließend die afrikanische Welle…
Aber dann…
Die Situation änderte sich mit zwei Werken: mit einer Arbeit der Künstlerin Gabrielle Goliath, die ich in einer Ausstellung bei Raffaella Cortese gesehen habe, bestehend aus zehn riesigen Videomonitoren, auf denen zehn Frauen im Loop eine Elegie singen, die möglicherweise auch eine Art Trauerritus darstellt – sehr berührend –, eine Elegie, in der sie sich an die ihnen angetane Gewalt erinnern … Das hat mich zutiefst bewegt. Und das zweite Mal war, als wir während unseres Sizilienurlaubs im letzten Sommer die Galerie Laveronica in Modica besuchten. Dort sah ich eine Arbeit des libanesischen Künstlers Rabih Mroué zum Thema Flucht und zu einem Aspekt aus den Jahren des Kriegsgeschehens zwischen Japan und den Vereinigten Staaten, aber auch zu späterer Zeit. Sie erzählt von einer vom Angreifer ausgehenden Form der Gewalt, von einem kriegerischen Akt gegen die Bevölkerung, die in Kürze bombardiert werden soll und durch den Abwurf von Flugblättern, die besagen: „Verschwindet von hier“, vor einem bevorstehenden Angriff gewarnt wird … Das haben die Amerikaner in Nagasaki und im Irak so gehandhabt, die Russen in Syrien, die Israelis in Gaza und im Libanon, und inzwischen tun sie das per SMS. Ich habe mich dann in die Lage dieser bedauernswerten Menschen hineinversetzt, quasi so, als gingen diese Flugblätter über Bozen nieder mit der Ankündigung: „In zwei Stunden bombardieren wir euch.“ Für mich ist das eine Form absoluter und furchtbarer Gewalt. Sie hat mich sehr getroffen, und hierin liegt wiederum die Schönheit von Kunst.
Einer „politisch engagierten Kunst“ also …
Ach wissen Sie, das mag zwar stimmen – es ist eine politische, eine engagierte Kunst –, doch interessiere ich mich keineswegs für Betrachtungen politischer Natur oder für ein Lagerdenken. Es geht mir vielmehr um eine Haltung gegenüber den Menschen, die mit diesen Dingen konfrontiert werden. Kunst muss sich wieder auf die Menschlichkeit besinnen, auf die Menschlichkeit in den Beziehungen zwischen Individuen und zwischen Gemeinschaften. Das ist die eigentliche Aufgabe von Kunst und interessiert mich weitaus mehr, und zugleich ist das auch ein bisschen der rote Faden, der sich durch die Ausstellung im Museion zieht.
Apropos Ausstellung – sie erzählt im Museion von den unsichtbaren Beziehungen zwischen den Werken ebenso wie zwischen dem Sammler und den Werken selbst, die seine Sicht auf das Leben spiegeln… Was aber wären nun die wesentlichen und charakteristischen Merkmale einer solchen Sichtweise?
Eine Sammlung repräsentiert in der Tat den oder die Sammler*in, und das ist das Schöne an der Kunst … Es langweilt mich sehr, wenn ich die immer gleichen Sammlungen sehe, die von ein- und denselben Galerien und oftmals auch von Architekt*innen oder Galerist*innen zusammengetragen wurden, anstatt von den Sammlungsbesitzer*innen selbst. Vorhin habe ich mir in der Ausstellung noch Walid Raads wunderbare Arbeit We Decided to Let Them Say „We are Convinced“ Twice (It was More Convincing this Way) angesehen, die angesichts der internationalen Konflikte, die wir derzeit erleben, aktueller ist denn je – mit dieser Äußerung beziehe ich mich auf die systemischen Verhältnisse, nicht auf die politischen, denn ich ergreife weder für eine noch für die andere Seite Partei. Meiner Ansicht nach geht es im Wesentlichen doch darum, dass wir uns – wie zuvor schon gesagt – auf die Menschlichkeit zurückbesinnen müssen, auf eine Überwindung von Ideologien, die auf allen Ebenen ins Unheil führen. Und ich denke, dass der Kunst in dieser Hinsicht eine äußerst wichtige Rolle zukommen kann. So etwa in dem Duett, das sich in der Ausstellung zwischen dem Werk von Anna Boghiguian (Woven Winds. The Making of an Economy-Costly Commodities) und der Videoarbeit von Theaster Gates (Billy Sings Amazing Grace) entspinnt, die erschütternd ist, als eine Erfahrung von Jahrhunderten des Kolonialismus und der Gewalt, erzählt von Stimmen, die ins Schwingen kommen und gleichzeitig sehr stark sind. Ich erinnere mich, dass ich das Gates-Video zum ersten Mal in Toronto gesehen habe und damals außerstande war, den Raum zu verlassen. Auch heute noch ist dieses Gefühl da, es ist präsent, und jedes Mal, wenn ich den Saal betrete, bin ich von den Stimmen gefesselt.
Und dann wäre da noch das „Lachen“ in Gino De Dominicis Arbeit D’io im vierten Stock.
De Dominicis ist einer der wenigen Künstler*innen, die sich mit der Unsterblichkeit befasst haben. Lorenzo (Paini, Anm. d. Red.) und ich diskutieren viel über dieses Werk, denn wir beide deuten das Lachen, das sarkastisch oder dramatisch gemeint sein kann, jeweils auf eigene Weise. Der Ausstellungsparcours nimmt seinen Anfang in der „Katastrophe“ des Erdgeschosses und führt bis in den vierten Stock, auch hin zu einer Form der Hoffnung – mit dem pulsierenden Herzschlag in Form der Lichter von Massimo Bartolinis Arbeit (Strada di Sotto). Doch ist das so? Streben wir alle nach Unsterblichkeit? Und darüber lacht er. Mit dem Lachen schließt sich das System.
In einem früheren Interview haben Sie einmal gesagt, dass Sie idealerweise ein Neues Manifest für die zeitgenössische Kunst in Italien verfassen möchten. Was benötigt denn die aktuelle Museums- und Kunstlandschaft Ihrer Meinung nach am dringendsten?
Der Staat muss in seinen verschiedenen Aufgabenbereichen zu einem öffentlichen System der Finanzierung zurückfinden. Bedauerlicherweise oder auch zum Glück schreibt der zeitgenössische Kunstbetrieb keine hohen Zahlen: Um diese zu erreichen, muss ein Museum heute eine Ausstellung über Impressionist*innen verschiedener Couleur machen oder über ein Thema, das mit Impressionismus, Schnee, Bergen oder Vergleichbarem zu tun hat. Aus diesem Grund begegnet man auch Ausstellungen, die das Gemälde eines oder einer ernsthaften impressionistischen Künstler*in sowie zehn mittelmäßige Werke zeigen – das bringt Publikum und Zahlen, die die zeitgenössische Kunst nicht erreicht. Hier müsste man deutlich machen, dass im Verzicht auf die Masse auch eine Chance liegen kann, Bewusstsein zu verändern. Denn ändert man das bewusste Erleben von 20.000 Personen, so gewinnt man zwar keine 100.000 Besucher*innen, gibt aber 20.000 Menschen Denkanstöße.