Bulletin #11

Lesevorschläge für Weihnachten: leidenschaftliche Geschichten um leidende Sammler

von Alessandra Riggione, Museion Bibliothek, und Letizia Basso, Museion Bookshop
Umschlag Il museo dell’innocenza, Orhan Pamuk, ed. Einaudi. Foto Ahmet Isikci 

Für unsere weihnachtlichen Leseempfehlungen haben wir uns inspirieren lassen von der Ausstellung AMONG THE INVISIBLE JOINS Werke aus der Sammlung Enea Righi. Die drei Bücher, die wir zur Lektüre vorschlagen möchten, kreisen jeweils um die zentrale Figur des Sammlers: Dabei handelt es sich um ebenso leidenschaftliche wie eigenwillige, ja zum Teil auch ein wenig paranoide Charaktere. Viel Spaß beim Lesen!

Erling Kagge, geboren 1963 in Oslo, ist Kunstsammler und Verleger gleichermaßen wie Schriftsteller und Bergsteiger. In seinem in 25 Kapitel gegliederten Ratgeber berichtet er von den ersten Schritten, die ihn in die Welt der Kunst geführt haben. So etwa vom Erwerb seines allerersten Kunstwerkes, einer signierten und nummerierten Lithografie mit der Darstellung einer schwarzhaarigen Frau, die ihn an seine erste Freundin erinnerte – diese Arbeit tauschte er damals gegen zwei Flaschen Bordeaux ein. Jedes Kapitel enthält einen Ratschlag, dessen Umsetzung in die Praxis sodann von Kagge anhand amüsanter Anekdoten illustriert wird. Der Kunstsammler nimmt uns mit in die großen und legendären Galerien, berichtet von zentralen Persönlichkeiten des Kunstbetriebs und den hinter diesem stehenden Dynamiken, ermutigt potenzielle Sammler und Sammlerinnen dazu, ihre Sinne zu schärfen und bei der Entscheidung für ein Kunstwerk ihrem Bauchgefühl zu folgen. „Gute Sammler gehen nicht nur nach ihren Augen, sondern auch nach Nase und Ohr. Es ist nicht immer einfach, den Unterschied zwischen guter und schlechter Kunst auszumachen: Manchmal sehe ich gar keinen.“ (Erling Kagge, Große Kunst für kleines Geld: Eine Anleitung, Berlin: Insel Verlag, 2019, S. 55)

Arbeiten aus der Sammlung Erling Kagge wurden bereits in zahlreichen internationalen Museen präsentiert. Eine Auswahl von Werken zeigte das Museion 2020 anlässlich der Ausstellung WALKING. Movements North of Bolzano

Slideshow
öffnen

Als zweites Buch möchten wir den Roman „Das Museum der Unschuld“ des türkischen Schriftstellers Orhan Pamuk vorschlagen. Er erzählt von Kemal, einem jungen Mann aus wohlhabender Istanbuler Familie, der sich unsterblich in eine entfernte Cousine, die schöne Füsun, verliebt. Zwischen beiden entflammt daraufhin eine turbulente Liebesgeschichte, die den Protagonisten dazu veranlasst, Hunderte Gegenstände zu sammeln, die ihn an seine Geliebte erinnern, Dinge, an denen sie gerochen, die sie berührt oder auch nur angesehen hat: kleine Hundefiguren aus Porzellan, Spiegel, Taschentücher, Lineale, Ohrringe, Kämme, Haarspangen, Fotos und Zigarettenstummel. „In den ersten Monaten nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus kam dieser Gedanke immer wieder in mir auf, wenn ich mich im Merhamet Apartment auf das Bett setzte, in dem ich mit Füsun geschlafen hatte, und rauchend die mich umgebenden Dinge betrachtete. Ich ahnte, dass ich meinen Schmerz würde mildern können, indem ich meine Geschichte erzählte. Dazu wiederum musste ich meine Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich machen.“ (S. 743f., Kap. 80, Carl Hanser Verlag, 2016)

Sämtliche in dem Roman beschriebene Gegenstände hat Pamuk tatsächlich gesammelt und im real existierenden Museum der Unschuld ausgestellt. Dieses wurde unweit des Stadtzentrums von Istanbul errichtet und öffnete seine Tore im Jahr 2012.

Orhan Pamuk, Das Museum der Unschuld: Roman, München: Carl Hanser Verlag, 2016

Der dritte Band, den wir hier vorstellen möchten, stammt von dem britischen Schriftsteller und Reisenden Bruce Chatwin. Er schildert die Geschichte des vermögenden Kaspar Utz aus Prag, der mit echter Hingabe Meißner Porzellan sammelt und sich in diesem Zusammenhang so äußert: „Ein Gegenstand in einer Museumsvitrine […] muß die der Natur entfremdete Existenz eines Tiers im Zoo ertragen. In einem Museum stirbt der Gegenstand – an Erstickung und den starrenden Blicken des Publikums –, während der Privatbesitz dem Besitzer das Recht und die Notwendigkeit der Berührung zugesteht. So wie ein kleines Kind die Hand ausstreckt, um das Ding, das es benennt, zu ergreifen, so stellt der leidenschaftliche Sammler, das Auge im Einklang mit seiner Hand, für den Gegenstand die lebensspendende Berührung seines Herstellers wieder her.“ (S. 21f., Carl Hanser Verlag, 1989)

Aus diesem Grund widmet Utz auch sein gesamtes Leben der Bewahrung und Erweiterung seiner Porzellansammlung, sowohl während der Zeit des Naziregimes als auch in den Jahren des sowjetischen Einmarsches: In seiner Prager Zweizimmerwohnung hortet er, sorgfältig geordnet, über tausend Stück, darunter Teller, Vasen, Kannen und Krüge, Harlekinfiguren, Hofdamen sowie eine Vielzahl von Tierfiguren jedweder Art. Nach seinem Tod jedoch scheint es, als habe sich die Sammlung vollständig in Luft aufgelöst: Haben mürrische Funktionäre sie mitgenommen? Oder aber hat der Sammler selbst sein kostbares Porzellan zerschlagen und weggeworfen, um es dem Zugriff unwürdiger Hände zu entziehen?

Bruce Chatwin, Utz: Roman, Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1999

Die Ausstellung AMONG THE INVISIBLE JOINS Werke aus der Sammlung Enea Righi ist im Museion noch bis zum 02.03.2025 zu sehen. Öffnungszeiten Di-So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 22 Uhr (freier Eintritt ab 18 Uhr)

Die Ausstellung präsentiert eine große Bandbreite an Kunstwerken, Architekturentwürfen und Künstler*innenbüchern renommierter internationaler Positionen. Die ausgewählten Werke regen Betrachter und Betrachterinnen dazu an, über transitorische Räume der heutigen Existenz nachzudenken, in denen sich gesellschaftspolitische Spannungen mit künstlerischem Ausdruck verflechten.

Bulletin 2024