Unvergessen ist mir eine Begegnung mit Raymond Pettibon vor dem Museion, das 2003 noch im ehemaligen Krankenhaus Bozen seinen Sitz hatte. Ich sollte ihn abholen. Die Temperaturen an jenen Tagen waren eisig. Pettibon saß in Espadrilles, Baumwollhose und nichts als einer leichten Jacke über seinem T-Shirt auf einer Steinmauer und wartete. Mich beunruhigte damals dieses stoische Ertragen der Kälte. Mir kam vor, als würde sie bei ihm auf unerklärliche Weise nicht zur bewussten Wahrnehmung vordringen.
Eingeladen hatten wir Pettibon, da er mit seinen comicartigen Zeichnungen in den Sammlungsbereich „Language in Art“ des Museions fiel. Charakteristisch für seine Arbeiten ist ihre Hybridität, nicht nur die zwischen Bild und Text, sondern auch die zwischen high und low, also zwischen populärer Kunst und Hochkunst. Seine Papierarbeiten waren in den 1980er-Jahren im Umfeld der kalifornischen Punk-Bewegung bekannt geworden. Er hatte für die Band Black Flag Plattencovers gezeichnet, aber auch Songtexte verfasst und selbst gesungen. Im Unterschied zu herkömmlichen Comics sind Pettibons Werke Einzelbilder und erhalten ihre interne Dynamik dadurch, dass Bild und Text einander oft nicht erklären.
Bei der Pettibon-Ausstellung im Museion wurden rund 200 Zeichnungen aus verschiedenen Sammlungen gezeigt. Da das Museion sich als Ort verstand, an dem auch Werke entstehen, war mit Pettibon vereinbart, dass er im Zentralraum eine Wandarbeit ausführt; die breite Stirnwand des Zentralraums wurde dafür mit großen, grundierten Holzplatten verkleidet. Für die Eröffnung war ein Konzert geplant, bei dem er singen wollte.
Bei Pettibon kehren bestimmte Themen ständig wieder: fahrende Züge, die Manson-Kommune, Drogentrips, Sex, Bombenexplosionen, Wellen und Surfer, Hollywood usw. Für das Wandbild im Museion hatte sich Pettibon für eine Welle mit einem Surfer entschieden. Wellen und Surfen waren Teil von Pettibons in Hermosa Beach, Kalifornien, verbrachter Jugend und Teil seines später entwickelten Bildinventars. Der Künstler Paul Thuile, mit dem wir damals bei Fragen der Ausstellungsgestaltung öfter zusammenarbeiteten, hatte Profi-Acrylfarben für Pettibon besorgt. Von der einen Woche, die Pettibon in Bozen war, ließ er mehrere Tage verstreichen, ehe er sich an die Wandarbeit machte. Wir waren besorgt, ob er fertig werden würde, da die zu bemalende Fläche riesig war.
Mit roter Farbe und in relativ kleiner Schrift schrieb Pettibon schließlich den Text „I have writt‘ nothing but surf” an die Wand. An einen Kommentar von Seiten des Künstlers zu diesem Text kann ich mich nicht erinnern. Bezeichnend für die von Pettibon verwendeten Motive ist, dass sie mit inhaltlich ganz unterschiedlichen Texten kombiniert sind.
Während der Vorarbeiten machte Pettibon mehrere später signierte und dem Museion überlassene Vorzeichnungen zur Welle und zur Figur des Surfers, die aber nicht den Status eigenständiger Werke haben. Sie lassen jedoch das Prozedere des Künstlers erkennen. Parallel entstanden auch zwei Siebdruckeditionen für das Museion. Mit Paul Thuile machte Pettibon zwei zweihändige Zeichnungen: Thuile zeichnete einen Pinsel oder einen Bleistift auf ein Blatt und Pettibon reagierte zeichnerisch darauf.