Das Gehen ist die selbstverständlichste Tätigkeit des Menschen. Sofern ihn nicht unglückliche Umstände daran hindern. Wenn man Kunst als das Besondere oder Andere betrachtet, mag es verwunderlich erscheinen, dass etwas höchst Selbstverständliches wie das Gehen zur Kunstform aufsteigen und seinen Ort in der Kunst finden kann.
2002 präsentierte Museion in einer Ausstellung eine größere Anzahl von Fotoarbeiten des kaum bekannten italienischen Künstlers Gianpietro Fazion. Sie zeigen Ansichten aus den von ihm in den 1960er-Jahren durchwanderten (Südtiroler und Trentiner) Bergen. Bei seinem weitgehend planlosen Durchstreifen der Landschaft ging es Fazion immer darum, einen sehr intimen Kontakt zur Natur herzustellen. Sein Werk entwickelt sich 1967-1972 parallel zur Land Art, in deren Kontext es auch zu sehen ist. Das Besondere an seinen Arbeiten ist ihre spirituelle Ausrichtung im Sinne des Buddhismus. Zum Teil bestehen Fazions Werke aus symbolischen Einritzungen, die er in stundenlanger Arbeit in Felsen vornimmt: Kreise, Spiralen, Winkel, die auf Baumnadeln anspielen. In der Serie der „Non opere“ erscheinen Aufnahmen von Felsen und Pflanzen gleichsam als göttliche Readymades. In den „Non luoghi“ (Nicht-Orten) geht es ihm um immaterielle Orte der Vorstellung: eine Höhle, eine Landkarte, auf der alle Ortsnamen gelöscht sind, ein leerer Stuhl in einem Klosterkreuzgang …
Es überrascht vielleicht nicht, dass Fazion beschließt, das Kunstsystem zu verlassen, als er 1971 von der Versteigerung eines van Gogh-Werks um einen damals atemberaubenden Preis erfährt. Er will die sich in diesem Verkauf manifestierende Kollision zwischen radikaler Kunst und Vermarktung nicht akzeptieren. Mit einem öffentlichen Brief verabschiedet er sich: „Ich weiß sehr wohl, dass ich mit meinem Entschluss das System unverändert lasse, das mich akzeptiert, wenn ich mitmache, und dem ich nicht fehle, wenn ich mich zurückziehe: aber in mir ist ein anderes Bewusstsein, ein neues Licht: wir brauchen noch Himmel“.
Fazion gibt die Kunst auf, geht für Jahre nach Indien und vertieft sich in die Lehre des Buddhismus. Nach Italien zurückgekehrt wird er zu einer wichtigen Figur im interreligiösen Dialog zwischen Buddhismus und Katholizismus, wovon zahlreiche Buchpublikationen zeugen. Ende der 1990er-Jahre schenkt er die noch in seinem Besitz befindlichen Werke – vor allem Fotoarbeiten und eine Anzahl von Textarbeiten – dem Museion. Er braucht sie nicht mehr und will sie in einem Museum verwahrt wissen. Heute lebt Fazion in einem Pflegeheim in der Nähe von Assisi.
Hamish Fulton
Der ebenfalls mit einigen Werken in der Sammlung Museion vertretene Brite Hamish Fulton, der im Unterschied zu Fazion bereits in die große Kunstgeschichte eingegangen ist, bezeichnet sich selbst als „Walking Artist“. Wie seine Studienkollegen Gilbert & George ersetzt er das herkömmliche Kunstobjekt durch eine Handlung: Gehen als Kunstform. 2005 fand im Museion eine Einzelausstellung mit Wandbildern Fultons statt, nachdem er zuvor im Gadertal an neun aufeinanderfolgenden Tagen neun verschiedene Gipfel begangen hatte. Diese mehrtägige Unternehmung hatte wie alle anderen Märsche des Künstlers einen klar definierten Anfangs- und Endpunkt sowie ein klares Zeitgerüst: neun Tage, neun Gipfel. Dieser Unternehmung widmete der Künstler in seiner Ausstellung eine große Wandarbeit. Sie wurde erworben und ging – wie auch eine Reihe von Zeichnungen, die einen 24-stündigen Marsch des Künstlers mit Reinhold Messner dokumentieren – in die Sammlung des Museion ein.