Bulletin 2024.2

„Das ist der Rhythmus meines Lebens“

Interview mit Walter Garber, DJ, Plattensammler und Leihgeber der Ausstellung HOPE

von Redaktion des Museion Bulletin: Caterina Longo und Mara Vicino
DJ Veloziped, Lange Nacht der Museen, 2023 Photo credits: Michael Della Giustina

„Ich habe sie nach Genres geordnet, aber nicht in alphabetischer Reihenfolge. Ich habe meine eigene Ordnung, so finde ich, was ich brauche.“ Walter Garber (Meran, Südtirol), aka DJ Veloziped, ist ein ebenso leidenschaftlicher wie anspruchsvoller Sammler. Spricht er über Musik und Schallplatten, so leuchten seine Augen. Seine riesige, mehr als siebentausend Exemplare umfassende Sammlung ist online auf Discogs zugänglich, einer Open-Source-Musikdatenbank, die in Fankreisen weltweit bekannt ist. So entdeckte auch DeForrest Brown, Jr. (New York, USA), Kurator der Ausstellung HOPE, als er von seinem Apartment im East Village aus in der Datenbank recherchierte, in Garbers riesiger Kollektion mehrere legendäre Platten des Detroit Techno von Cybotron, Underground Resistance und Drexciya. Diese Alben sind nun zusammen mit weiteren Stücken aus der Sammlung des Meraner DJs im Museion zu bewundern – in der Sektion „Third Earth Archive“, die in der Ausstellung HOPE dem Mythos Drexciya* gewidmet ist.

Im Museion sind die Techno-Alben historischer Bands aus Detroit ausgestellt. Wie bist du mit diesem Musikgenre in Berührung gekommen?

Als ich in den 90er-Jahren in Wien studierte, interessierte ich mich sehr für Musikzeitschriften. Es gab damals noch kein Internet, seine Infos bezog man aus Zeitschriften oder aus Gesprächen mit anderen DJs in Plattenläden, die auch ein sozialer Treffpunkt waren. Da begegnete man manchmal Künstler*innen aus den USA, die vorbeischauten, um Platten zu kaufen, wenn sie in der Stadt auftraten. Mein erstes Techno-Album war eine Platte von Jeff Mills, Mitglied von Underground Resistance, den wir in Wien auflegen hörten – ich sage wir, denn wir waren mehrere Leute, die diese Musik gemeinsam entdeckt haben.

Vinyl UR* – The Return Of Acid Rain - The Storm Continues

Der Teil deiner Sammlung, der im Museion zu sehen ist, bezieht sich auch auf die Electro-Band Drexciya und den gleichnamigen Mythos …

Drexciya-Platten waren schwer aufzutreiben, in den Läden gab es nur wenige Exemplare, etwa ein Dutzend oder so. Die Band umgab anfangs ein Mysterium, und es herrschte große Neugier: Wir wussten, dass die Producer in Detroit Schwarz waren, und da war die kosmische Bildsprache, gemixt mit Science-Fiction, aber viel mehr wusste man nicht. Dann erschienen in einigen Magazinen, auf Covern oder wichtigen Plattenlabeln kurze Statements, die auch politischer Natur waren. Die Producer sahen sich als Vertreter einer Minderheit, die einen Kampf im Underground führte. Diese Story bauten sie nach und nach auf, und schließlich wurde ein wenig mehr bekannt, aber es ist immer noch nicht alles klar, vieles ist nach wie vor in ein Geheimnis gehüllt.

Du bist in den 80er-Jahren in Tscherms, einem kleinen Dorf am Rande von Meran in Südtirol, aufgewachsen. Wie hat dich da die Techno-Welle erreicht?

Wir waren Aliens in unserem Umfeld: Wir gingen auf Partys, und sowie uns ein Auto zur Verfügung stand, legten wir auch viele Kilometer zurück, um Musik zu hören … In den 80er-Jahren gab es Electro, Funk und Soul sowie Afro/Cosmic. Und außerdem Kassetten, man kaufte eine für 10.000 Lire und machte davon Kopien, damit hatte man eine gute Grundlage. Aber die große Revolution mit House und Techno habe ich erst während meines Studiums in den 90er-Jahren in Wien erlebt.

Wie kam es zu dem Wunsch zu sammeln?

Anfangs war es ein „kollektiver“ Prozess. Als Student wohnte ich in Wien in einer WG, und wir begannen gemeinsam, Platten zu sammeln. Solange wir im selben Haus wohnten, gehörte die Sammlung allen, und alle verfügten über sie. Doch nach Ende des Studiums nahm jeder einen Teil mit, und die Sammlung zerfiel. Es gibt Platten, die mir heute noch fehlen, denn sie sind nicht mehr zu beschaffen …

Wie ist die Sammlung gewachsen?

Wenn ich bei Prüfungen eine gute Note bekam, dann schenkte ich mir jedes Mal Platten, um mich auf diese Weise zu belohnen. Als ich dann berufstätig war, konnte ich mir mehr leisten, darunter auch Raritäten. Black Market in Wien war einer meiner Lieblingsläden.

Bist oder warst du auch angetrieben von der unbändigen Besessenheit, ein bestimmtes Objekt unbedingt besitzen zu müssen?

Dazu muss ich sagen: Ich habe ja nie Platten gekauft, einfach um sie zu haben, sondern um aufzulegen, denn wir haben schon damals in Wien kleine Partys organisiert. Das habe ich natürlich für mich gemacht, aber auch für andere, um Musik zu teilen und immer neue Musik kennenzulernen.

Noch einmal zurück zu Detroit und Drexciya: War es eher der Mythos, der dich faszinierte, oder die Musik?

Immer die Musik, sie steht immer im Mittelpunkt.

Walter Garber in der Ausstellung HOPE (2023, Museion) Photo credits: Michael Della Giustina

Und dennoch hast du, als wir vorhin durch die Ausstellung gingen, der Vitrine mit deinen Platten einen sehr liebevollen Blick geschenkt, so als wären sie deine Geschöpfe. Wie wichtig ist die Schallplatte als Objekt für dich? Im Grunde dient sie ja nur als Trägermedium für Musik, die man genauso gut per Datei übermitteln könnte …

Ich vergleiche Vinyl gerne mit einem Buch: Für eine Schriftstellerin oder Schriftsteller verhält es sich genauso, es ist einfach ein Unterschied, ob man einen Roman in Händen hält oder aber einen Link zum Herunterladen verschickt. Ich glaube, als Menschen brauchen wir die Beziehung zu einem konkreten, materiellen Gegenstand. Zu etwas Analogem können wir viel eher Beziehung aufbauen als zu einem virtuellen Objekt.

Apropos Bücher: Du hast ja über viele Jahre hinweg in historischen Bibliotheken alte Bücher katalogisiert … Ein schöner Schluss des Kreises in Bezug auf deine Tätigkeit als DJ. Bestehen da Parallelen?

Ja, bis 2018 habe ich etliche Jahre lang meinen Beruf mit alten Büchern in der Stille Südtiroler Kloster- und Stiftsbibliotheken mit meiner Arbeit als DJ vereint. Da bestehen tatsächlich Zusammenhänge: Denn das Auflegen ist für mich eine Art Meditation. Nach allgemeiner Vorstellung sind DJs ja Superstars, die mit einem USB-Stick aufkreuzen und zu tanzen beginnen, aber in Wirklichkeit ist das nicht so. Beim Auflegen von Platten muss man sehr konzentriert und aufmerksam sein, es steckt eine Menge Arbeit dahinter, und wenn dir ein Fehler unterläuft, dann entsteht daraus Disharmonie. Aber das Schöne ist, du kommst in einen Flow …

Und Techno-Musik – was spricht sie in dir an?

Am Anfang denkt man noch: „Was soll das denn?“ Das ist zu schnell …, aber nach einer Weile packt es einen, dann ist man drin und versteht die Musik, aber sie eröffnet sich einem nicht sofort. Für viele hört sich Techno immer gleich an, scheint repetitiv, doch da sind diese Nuancen, die Variationen und winzigen Verschiebungen, die diese Musik interessant macht. Für mich ist das wie ein Beat, das Pochen des Herzes, das immer weitergeht und jede Menge Energie verströmt. In den 90er-Jahren habe ich beschlossen, dass dies der Rhythmus meines Lebens sein würde.

Photo credits: Walburga Gamper

Um nochmal auf deine Plattensammlung zurückzukommen: Hast du denn angesichts deiner Erfahrung mit Büchern auch alle deine Platten perfekt katalogisiert, womöglich sogar in alphabetischer Reihenfolge?

Ich habe sie nach Genres geordnet, aber nicht in alphabetischer Reihenfolge, ich habe meine ganz eigene Ordnung und schaffe es auch, alles wiederzufinden. Dann habe ich noch Schallplattentaschen, wenn ich auflege und etwas auf den Boden setzen muss, aber ich finde immer alles wieder!

Was ist das für ein Gefühl, deine Sammlung im Museion ausgestellt zu sehen?

Es war toll, die Platten in der Ausstellung zu sehen, und es macht mich auch ein bisschen stolz. Ich freue mich, dass diese Underground-Künstler nun auch von der lokalen Kulturszene geschätzt werden.

Hörempfehlung von DJ Veloziped: Drexciya - Aqua Worm Hole (Underground Resistance UR-026)

Die Platte ist in der Ausstellung HOPE im Museion zu sehen

*Dem afrofuturistischen Mythos Drexciya zufolge besteht auf dem atlantischen Meeresgrund eine Unterwasserzivilisation, deren Ursprünge auf das 16. Jahrhundert zurückgehen, als der Sklav*innenhandel durch weiße Händler seinen Anfang nahm. Die erste Generation dieser Zivilisation soll aus im Wasser zur Welt gekommenen Töchtern und Söhnen bestehen, geboren durch versklavte afrikanische Frauen, die schwanger über Bord geworfen worden waren. Drexciya stellt somit eine Mythologie der Selbstermächtigung, eine „Technologie eines Schwarzen Exodus“ sowie eine aquatische Metropole amphibischer Krieger*innen dar und will mit dem Kampfgeist dieser Unterwasserzivilisation die koloniale Macht untergraben. Die afrofuturistische Erzählung diente als Anregung für das gleichnamige, aus James Marcel Stinson und Gerald Donald bestehende Duo des Detroit Techno. Im Rahmen der Ausstellung HOPE widmet sich die Sektion Third Earth Archive dem Drexciya-Mythos und seiner figurativen Umsetzung auf Techno-Albumcovern sowie in Graphic Novels des Künstlers AbuQadim Haqq

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