Bulletin 1.4

Raymond Pettibon: „I have writt’ nothing but surf”

von Andreas Hapkemeyer, Museion, Forschung und Lehre
Raymond Pettibon, “O.T (I have writt’ nothing but surf”), 2003. 350 x 1400 cm. Privatsammlung. Foto Augustin Ochsenreiter.

Unvergessen ist mir eine Begegnung mit Raymond Pettibon vor dem Museion, das 2003 noch im ehemaligen Krankenhaus Bozen seinen Sitz hatte. Ich sollte ihn abholen. Die Temperaturen an jenen Tagen waren eisig. Pettibon saß in Espadrilles, Baumwollhose und nichts als einer leichten Jacke über seinem T-Shirt auf einer Steinmauer und wartete. Mich beunruhigte damals dieses stoische Ertragen der Kälte. Mir kam vor, als würde sie bei ihm auf unerklärliche Weise nicht zur bewussten Wahrnehmung vordringen.

Eingeladen hatten wir Pettibon, da er mit seinen comicartigen Zeichnungen in den Sammlungsbereich „Language in Art“ des Museions fiel. Charakteristisch für seine Arbeiten ist ihre Hybridität, nicht nur die zwischen Bild und Text, sondern auch die zwischen high und low, also zwischen populärer Kunst und Hochkunst. Seine Papierarbeiten waren in den 1980er-Jahren im Umfeld der kalifornischen Punk-Bewegung bekannt geworden. Er hatte für die Band Black Flag Plattencovers gezeichnet, aber auch Songtexte verfasst und selbst gesungen. Im Unterschied zu herkömmlichen Comics sind Pettibons Werke Einzelbilder und erhalten ihre interne Dynamik dadurch, dass Bild und Text einander oft nicht erklären.

Bei der Pettibon-Ausstellung im Museion wurden rund 200 Zeichnungen aus verschiedenen Sammlungen gezeigt. Da das Museion sich als Ort verstand, an dem auch Werke entstehen, war mit Pettibon vereinbart, dass er im Zentralraum eine Wandarbeit ausführt; die breite Stirnwand des Zentralraums wurde dafür mit großen, grundierten Holzplatten verkleidet. Für die Eröffnung war ein Konzert geplant, bei dem er singen wollte.

Bei Pettibon kehren bestimmte Themen ständig wieder: fahrende Züge, die Manson-Kommune, Drogentrips, Sex, Bombenexplosionen, Wellen und Surfer, Hollywood usw. Für das Wandbild im Museion hatte sich Pettibon für eine Welle mit einem Surfer entschieden. Wellen und Surfen waren Teil von Pettibons in Hermosa Beach, Kalifornien, verbrachter Jugend und Teil seines später entwickelten Bildinventars. Der Künstler Paul Thuile, mit dem wir damals bei Fragen der Ausstellungsgestaltung öfter zusammenarbeiteten, hatte Profi-Acrylfarben für Pettibon besorgt. Von der einen Woche, die Pettibon in Bozen war, ließ er mehrere Tage verstreichen, ehe er sich an die Wandarbeit machte. Wir waren besorgt, ob er fertig werden würde, da die zu bemalende Fläche riesig war.

Mit roter Farbe und in relativ kleiner Schrift schrieb Pettibon schließlich den Text „I have writt‘ nothing but surf” an die Wand. An einen Kommentar von Seiten des Künstlers zu diesem Text kann ich mich nicht erinnern. Bezeichnend für die von Pettibon verwendeten Motive ist, dass sie mit inhaltlich ganz unterschiedlichen Texten kombiniert sind.

Während der Vorarbeiten machte Pettibon mehrere später signierte und dem Museion überlassene Vorzeichnungen zur Welle und zur Figur des Surfers, die aber nicht den Status eigenständiger Werke haben. Sie lassen jedoch das Prozedere des Künstlers erkennen. Parallel entstanden auch zwei Siebdruckeditionen für das Museion. Mit Paul Thuile machte Pettibon zwei zweihändige Zeichnungen: Thuile zeichnete einen Pinsel oder einen Bleistift auf ein Blatt und Pettibon reagierte zeichnerisch darauf.

Raymond Pettibon, “6 sketches for walldrawing”, 2003. Tusche auf Papier. 29,6 x 42 cm. Sammlung Museion. Foto: Antonio Maniscalco.

Das monumentale Wandbild wurde nach der Ausstellung von einem Sammler erworben, was zur Finanzierung des Ganzen beitrug. Auf Grund ihrer Breite von über zehn Meter und einer Höhe von knapp vier Meter hebt sich diese Wandarbeit deutlich von Pettibons relativ kleinen Zeichnungen ab. Das damals entstandene Werk dürfte zu den größten Wandzeichnungen gehören, die Pettibon gemacht hat. Heute mag man sich fragen, warum das Museum die Wandarbeit nicht selbst erworben hat. Es fehlte dafür das Geld. Aus heutiger Sicht vielleicht eine verpasste Gelegenheit.

Ein oder zwei Tage vor der Eröffnung kam der mit Pettibon befreundete Künstler Hans Weigand mit seiner Band aus Wien nach Bozen. Sie probten im Hauptraum vor Pettibons Wandbild. Während der Eröffnung kam es zu einem regelrechten Punkkonzert, bei dem Pettibon als Sänger mit von ihm selbst geschriebenen (und geschrienen) Texten auftrat. Heute denke ich, dass diese Musik und das Eröffnungspublikum nur bedingt kompatibel waren.

Die Punks hatten in den 1980er-Jahren mit ihrer Lebensform, ihrem äußeren Erscheinungsbild und ihrer Musik das reibungslose Funktionieren einer in ihren Augen irregeleiteten Gesellschaft stören wollen. Pettibon thematisiert das in seinen Filmen, in seinen Zeichnungen macht sich das ästhetisch u.a. so bemerkbar, dass die von ihm verwendeten Texte – Zitate aus Büchern, Magazinen, Gesprächen, aber auch eigene Sätze – oft in keinem klar erkennbaren Zusammenhang mit dem jeweiligen Bild stehen. Das Prinzip von Pettibons Werken ist das der produktiven Störung einer glatten Rezeption.

Knapp 20 Jahre nach seiner Einzelausstellung ist Pettibon im Rahmen der Präsentation der Sammlung Erling Kagge ans Museion, das inzwischen in einem Neubau residiert, zurückgekehrt. Eine Auswahl von Zeichnungen aus Kagges Sammlung trifft auf Arbeiten aus der Sammlung Museion. Ich nehme an, dass Pettibon immer noch in Espadrilles zu seinen Eröffnungen kommt. Pettibons Werke haben ihren Ursprung im Underground, was die Filme deutlich erkennen lassen. Im Lauf der Jahre haben sie ihren Weg in die weltweit bedeutendsten Museen und privaten Sammlungen genommen und sind zu einer begehrten Handelsware geworden.

Bulletin 1

Das Museion Bulletin ist da!