Bulletin 4.7

Metamorphose eines Rätsel

von Fatima Hellberg und Steven Cairns
Foto: Luca Guadagnini

David Medalla war ein durch und durch interdisziplinärer Künstler, Dichter, Aktivist, Schriftsteller, Philosoph und Erzähler, dessen Arbeit darauf abzielte, „die Wirklichkeit zu untersuchen und ihre Rätsel zum Vorschein zu bringen.“¹ Diese Vielfalt aufzuzeigen war uns ein zentrales Anliegen in der Konzeption von Parables of Friendship.

Die Form des Realismus, mit der er sich beschäftigte, war politisch, materiell und sozial, zugleich aber auch ephemer, transformativ und überraschend – ein Realismus, der sich den vielen Ebenen, Erfahrungen und Brüchigkeiten verschrieb, deren es bedarf, um miteinander verwobene, vielfältige Realitäten begreifen zu können. Diese Herangehensweise ist von ebenso großer Hingabe wie Bescheidenheit geprägt und stellt dem Wunsch nach Verstehen die Grenzen des Erkennbaren gegenüber. In der Ausstellung stehen eine Aufnahme von Medallas Performance Metamorphosis of an Enigma aus dem Jahr 1984, eine „Feier von Freundschaft und Liebe“, und seine Fotocollage Bambi Shitting Dollars (1989) auf exemplarische Weise für eine bestimmte Haltung und einen bestimmten Geist. Trotz der Ernsthaftigkeit von Medallas Arbeit findet sich in ihren wichtigsten Werken ein unbestreitbarer, camphafter Humor – dass etwas zugleich mehreres sein kann –, von der Vibration von Energie oder einem Schimmer an den Kanten, wenn etwas ist und gleichzeitig sein Wesen transzendiert.

Für Medalla konnten die Momente des „Geistes“ sich in seiner innerlichen und privaten Praxis des Maskenherstellens, Schreibens und Zeichnens ereignen wie in seiner partizipatorischen und sozial engagierten Arbeit. Auf ähnliche Weise brachte er, sobald eine Form fixiert oder starr geworden war, oftmals eine konträre Bewegung oder eine semantische Verschiebung ein. Nach seiner Arbeit für Artists for Democracy (1974–77) erklärte Medalla sich zum „transzendentalen Hedonisten“, womit er weniger seinen eigenen Blickwinkel änderte als vielmehr die Fähigkeit seines Umfelds, seine Praxis zu verorten oder in eine Schublade einzusortieren. Nicht zuletzt kann sich Medallas wiederkehrendes und ausdrucksvoll formuliertes Misstrauen gegenüber dem Dogma mit seiner eigenen Biografie und Identität verbinden lassen. Die Erfahrung des Heranwachsens während des Zweiten Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit in den Philippinen und sein Leben als offen Schwuler zu einer Zeit, als dies rechtlich verfolgt wurde, trugen zu seiner Formulierung einer Ethik ohne Moralismus bei.

In der Geschichte der Philippinen lassen sich drei Perioden der kolonialen Besatzung unterscheiden: die spanische Herrschaft (1521–1898), die amerikanische Herrschaft (1898–1946) und die japanische Okkupation (1941–46). Diese sich wandelnden Paradigmen zeugen sowohl von historischem Umbruch wie von persönlichem – oft generationenübergreifendem – Trauma, eine Erfahrung und ein Verständnis, die Medalla in Texten zu seiner Arbeit häufig anführt. Aus Interviews und Gesprächen wird deutlich, dass diese Erfahrung systemischer Gewalt auch zu Medallas verstärktem Argwohn gegenüber Sprachen der Herrschaft und der Macht beitrug, auch wenn diese sich nur subtil äußern oder von Individuen oder Gruppen eingesetzt werden, die sich selbst auf der „richtigen Seite der Geschichte“ sehen.

Mit Bezug auf seine Cloud Canyons hat Medalla häufig über Arbeiten mit „atomaren Anfängen“ gesprochen, die dann organisch wachsen und sich in Antwort auf Intention, Kontext und Mittel weiterentwickeln. Der Prozess, der zu dieser Ausstellung führte, ist eine Widerspiegelung dieser Logik. Als wir Anfang 2019 die Arbeit mit David Medalla, seinem langjährigen künstlerischen Mitarbeiter und Lebenspartner Adam Nankervis sowie dem Medalla-Archiv in Berlin für eine viel kleinere Ausstellung begannen, wurde bald klar, dass sein Werk eine vertiefte und gleichzeitig breitere Darstellung erforderte. Im Lauf der Arbeit entwickelten sich Gespräche und Untersuchungen, aber auch Diskussionen über den Kontext, den Zugang und die Konstellation der Mitarbeiter, die Parables of Friendship realisierten. Unser Anliegen bestand darin, den verwobenen Geist von Medallas Arbeit zu würdigen und die Ausstellungen in Bonn und Bozen, die Publikation und die Begleitveranstaltungen als einen Prozess zu verstehen, der Medallas Praxis sichtbar macht, Zugang zu ihr gewährt und sie ernst nimmt. Einige dieser Kunstwerke gehören zu den eher übersehenen Strängen seines Werks, von seinen Reflexionen und Repräsentation rund um die Themen Sexualität und Gender bis zu den ephemeren Werken auf Papier – Zeichnungen, Schriften und Masken, die den Großteil seines künstlerischen Œuvres ausmachen.

Medallas Praxis war Teil einiger einschneidender kunsthistorischer Momente, von Harald Szeemanns documenta 5 (1972), über Rasheed Araeens The Other Story in der Hayward Gallery (1989) bis zu Okwui Enwezors 2. Johannesburg Biennale (1997). Seine Praxis von Selbstorganisation und Eigengründungen sowie die Herausforderung herrschender institutioneller Gepflogenheiten und Strukturen bedeutete auch, dass seine Arbeit eine zentrale Rolle bei der Infragestellung des westlichen Fokus auf die Kunstwelt und die damit Medallas Praxis war Teil einiger einschneidender kunsthistorischer Momente, von Harald Szeemanns documenta 5 (1972), über Rasheed Araeens The Other Story in der Hayward Gallery (1989) bis zu Okwui Enwezors 2. Johannesburg Biennale (1997). Seine Praxis von Selbstorganisation und Eigengründungen sowie die Herausforderung herrschender institutioneller Gepflogenheiten und Strukturen bedeutete auch, dass seine Arbeit eine zentrale Rolle bei der Infragestellung des westlichen Fokus auf die Kunstwelt und die damit.

Diese Gedanken führen beständig zurück auf einen bestimmten Glauben an und eine Hoffnung auf das Potential der Kunst, da „Kunstwerke die Substanz und bisweilen der Schatten unserer vielen, vielfältigen inspirierten Momente sind.“

„Widersprech ich mir selbst? Nun gut, so widersprech ich mir selbst. (Ich bin weiträumig, enthalte Vielheit).“²

Aus dem Katalog zur Ausstellung David Medalla: Parables of Friendship

¹ David Medalla, informelles Gespräch mit Studierenden am Chelsea College of Art, London, April 1983, zitiert in Guy Brett, „David Medalla: From Biokinetic to Synoptic Realism“, Third Text, London, Nr. 8/9, Herbst/Winter 1989, S.106

² Walt Whitman zitiert von David Medalla in Signals Newsbulletin, Bd.1, Nr.1, 1964, S.1 (dt. Übers. nach: Walt Whitman, Gesang von mir selbst, übers. v. Hans Reisiger, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1946)

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