Bulletin 2024.3

Viele Brände mit wenig Wasser löschen: Museen und Nachhaltigkeit

Ein Gespräch zwischen Caterina Riva, Direktorin des MACTE, und Bart van der Heide, Direktor des Museion

AMACI Konferenz - Museums at the Ecological Turn, Bergamo, 24.11.2023  Foto Paolo Biava

Was bedeutet es für ein Museum, nachhaltig zu sein? Welche Veränderungen sind hierfür notwendig und mit welchen konkreten Schwierigkeiten sehen sich Museen auf ihrem Weg hin zur Nachhaltigkeit konfrontiert? Und welche Vorteile hat das Publikum davon? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Gesprächs zwischen Bart van der Heide, dem Direktor des Museion, und Caterina Riva, der Direktorin des MACTE Museum für zeitgenössische Kunst in Termoli. Das Gespräch knüpft thematisch zum einen an die vom Museion im Juni 2023 organisierte Veranstaltung „Museen und Nachhaltigkeit“ an, bei der auch die Nachhaltigkeitsbericht der Einrichtung als erste eines italienischen Museums vorgestellt wurde, zum anderen an die AMACI-Konferenz „Museums at the Ecological Turn“, die im November 2023 in Bergamo stattfand.

Die Nachhaltigkeits-Roadmap des Museion wurde vom Museumsteam in Zusammenarbeit mit dem Terra Institute verfasst. Sie stellt einen wichtigen Schritt in Richtung Zukunft dar und berücksichtigt verschiedene Aspekte der Nachhaltigkeit, so etwa das Engagement zugunsten der Gemeinschaft, die Infrastruktur, Leadership, die finanzielle Belastbarkeit sowie das Wohlergehen der Mitarbeiter*innen. Tatsächlich bilden das Museum und seine Stakeholder*innen eine Mikrogemeinschaft und spiegeln das breitere gesellschaftliche Umfeld wider, dem wir alle angehören. Mit diesem Bericht tut die Einrichtung einen ersten Schritt, um den drängenden Problemen mit konkreten Zielsetzungen und Maßnahmen umfassend zu begegnen.

AMACI Konferenz - Museums at the Ecological Turn, Bergamo, 24.11.2023 Foto Paolo Biava

Bart van der Heide: Der Klimawandel stellt Museen, aber auch politische und wirtschaftliche Institutionen vor tiefgreifende Veränderungen, deren Tragweite vielleicht noch nicht ganz abzusehen ist. Worin siehst du vor diesem Hintergrund deine Vision als Leiterin eines Museums?

Caterina Riva: Als erste Direktorin eines Museums im Süden Italiens verwende ich einen Großteil meiner Energie darauf, das Museum als Gewohnheit in einer Gemeinschaft zu verankern, die bislang keine Erfahrung mit Museen hatte. Der Wunsch, Entscheidungen nach ethischen Gesichtspunkten zu treffen und nach diesen zu handeln, kollidiert oft mit der Wirklichkeit, in der tagtäglich schnelle Lösungen für Notlagen kleineren Ausmaßes gefragt sind. Daher fehlen oft der Freiraum und die Autonomie, die es erlauben würden, sich positivere und realistischere Vorgehensweisen für best practices zu überlegen, anstatt mit wenig Zeit und Unterstützung schnellen Ergebnissen hinterherzujagen. Das ist ein bisschen so, als wollte man viele Brände mit wenig Wasser löschen. Ich glaube, dass die Wege so unterschiedlich und differenziert müssen wie die Arten der Kultureinrichtungen, über die wir hier sprechen, und zugleich sollten diese Einrichtungen auch Orte sein, an denen notwendige Veränderungen und neu einzuschlagende Richtungen sowohl öffentlich als auch auf der Verwaltungsebene aktiv diskutiert werden.

BvdH: Im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit in Museen - welche Unterschiede kannst du da festmachen zwischen Italien und den anderen Ländern, in denen du gelebt hast?

CR: Bis vor wenigen Jahren war das ökologische Bewusstsein auch in ausländischen Einrichtungen noch nicht so weit entwickelt. In meiner Laufbahn habe ich sehr unterschiedliche und in gewisser Weise auch gegensätzliche Situationen angetroffen.

Als ich kurz nach dem ersten Pandemie-Lockdown in Termoli ankam, um dort die Leitung des MACTE Museum zu übernehmen, war ich gerade erst aus Singapur zurückgekehrt. Ich hatte zwei Jahre lang in Asien gearbeitet und war dort als Kuratorin für die fünf Galerien einer Kunsthochschule tätig, eines riesigen und komplexen Organismus, der im Stadtzentrum in einem Glasgebäude untergebracht war, in dem ständig die Klimaanlage lief und wo es nur wenige und schlechte Recyclingpraktiken gab. Während meiner Zeit in Singapur litt ich neben der ständigen schwülen Hitze und auch unter den Rauchgasen, die durch Brandrodungen in Indonesien zur Gewinnung von Palmöl verursacht wurden und bis nach Singapur gelangten, sie hüllten die ganze Stadt und die Wolkenkratzer in einen dichten Dunst aus nicht mehr atembarer Luft. Jahre zuvor hatte ich in Auckland in Neuseeland gelebt, wo sich die Situation völlig anders darstellte.

BvdH: Wie das?

CR: Die Stadt erhebt sich auf mehreren erloschenen Vulkanen und wurde in jüngster Zeit von mehreren verheerenden Überschwemmungen heimgesucht. Jedes Mal musste ich dort vor dem Anflug eine Landekarte ausfüllen und darin versichern, dass ich weder Lebensmittel noch Saatgut einführe und auch im Profil von Schuhsohlen kein Erdmaterial aus landwirtschaftlichen Gebieten anderer Kontinente mitbringe – das dient dem Schutz der lokalen Biosphäre. Natürlich kommt es dennoch zu Kontaminationen, und man kann auch nicht ignorieren, dass sich zerstörerische und nützliche Naturphänomene verschränken, selbst wenn sie viele Kilometer entfernt geschehen.

AMACI Konferenz - Museums at the Ecological Turn, Bergamo, 24.11.2023 Foto Paolo Biava

BvdH: In deiner Rede in Bergamo hast du auch von der Notwendigkeit gesprochen, „riskant zu denken“: Was meinst du damit?

CR: Ich bin mir bewusst, dass die nötigen Antworten auf einer systemischen und strukturellen Ebene gefunden werden müssen. In diesem Zusammenhang wollte die Tagung in Bergamo auch Organisationen, Fachleute aus dem Bereich der Kunst und andere dazu anregen, über die Notwendigkeit eines Tempowechsels nachzudenken. Das riskante Denken zeichnet jemanden aus, der oder die nicht allzu großen Wert auf Konformismus oder politische Korrektheit legt, sondern sich den Problemen mutig stellt. Der Weg in Richtung Nachhaltigkeit bezieht sich auf Formen des Konsums, darf aber nicht das Wohlergehen der Menschen und die Rücksichtnahme auf die Umgebung und unsere Beziehung zur ihr außer Acht lassen. Museen stehen am Scheideweg zwischen theoretischen Überlegungen einerseits, die zur Entschleunigung auffordern und dazu, offen für das Komplexe zu sein, und andererseits einer Praxis, die unablässige und stressige Arbeit nach dem Diktat kapitalistischer Produktionsparadigma verlangt.

BvdH: Vor welchen konkreten Schwierigkeiten stehen Museen heute?

CR: Die Institutionen (einschließlich der Kunsteinrichtungen) kämpfen mit zunehmenden Problemen, eine angemessene und ethisch vertretbare Finanzierung zu erhalten, und verlangen Arbeitsleistungen, die oftmals zum Burn-out führen. Die in ihnen tätigen Verwaltungen arbeiten häufig nach kommerziellen Geschäftsmodellen, anstatt dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Unterschied zur Kulturarbeit einer gemeinnützigen Organisation besteht, die sich der Förderung von Gemeinschaften widmet, denen sie selbst angehört. Museen bestehen nicht nur aus der architektonischen Struktur oder den in ihnen verwahrten und ausgestellten Werken, sondern in erster Linie aus den Menschen, die in ihnen arbeiten, und jenen, die sie durchqueren und dabei temporäre Gemeinschaften der Begegnung, des Bewusstseins und der Selbstbestimmung schaffen und wieder auflösen.

BvdH: Inwieweit hat die Entscheidung eines Museums, nachhaltig zu sein, konkrete Auswirkungen auf das Leben der einzelnen Bürger*innen, die es besuchen?

CR: Hinsichtlich des Publikums geht es um einen Dialog und eine Gegenseitigkeit, die keinen Ausgangspunkt bilden, sondern eher einen Zielpunkt. Das Museum wird zu einem zivilbürgerschaftlichen Ort, doch braucht es Geduld und Hartnäckigkeit, um Vorstellungen von Zugänglichkeit und Kontinuität aufzubauen. Mit der Ausstellung Le 3 ecologie, die wir 2022 im MACTE gezeigten haben, wollten wir einen Schritt in diese Richtung tun. Ich hoffe, dass die Besucher*innen ein größeres Bewusstsein für die Perspektiven und Überlebenskämpfe der aus verschiedenen Kontinenten eingeladenen Künstler*innen entwickeln konnten und dass vielleicht auch Parallelen und Gemeinsamkeiten deutlich wurden.

AMACI Konferenz - Museums at the Ecological Turn, Bergamo, 24.11.2023 Foto Paolo Biava

Caterina Riva, Direktorin des MACTE Museum für zeitgenössische Kunst in Termoli, im Gespräch mit Bart van der Heide, Direktor des Museion.

Caterina Riva ist Kuratorin für zeitgenössische Kunst und seit September 2020 Direktorin des MACTE Museum für zeitgenössische Kunst in Termoli. Seit 2022 gehört sie dem Vorstand von AMACI, dem Verband italienischer Museen für zeitgenössische Kunst, an. Sie war Gründerin und Leiterin des Projektraums FormContent in London (2007-2010), Leiterin von Artspace in Auckland in Neuseeland (2011-2014) sowie Kuratorin am Institute of Contemporary Arts Singapore (2017-2019). Zu den von ihr kuratierten Ausstellungen gehören die Gruppenausstellungen Le 3 ecologie und L’esca, die beide im Jahr 2022 im MACTE gezeigt wurden.

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